Der Berg ruft

Als erster irgendwo zu sein, ist immer gut. Als erster seine Spuren im Schnee zu hinter lassen ist aber nochmal etwas ganz besonderes. Wenn man weiß, dass niemand vor einem heute dieses Weg gegangen ist. Der Schnee liegt einem völlig unberührt zu Füßen. Vor einem nur die Weite der Steppe und der Berge.

Aus dem anfänglich perfekten Weg wird immer mehr ein Fluss. Das Wasser stand zwar auch schon zuvor mitten auf dem Pfad, mittlerweile ist der Pfad nun aber non existent. Immer noch versuche ich verzweifelt meine Füße trocken zu behalten. Elfenhaft springen ich von Stein zu Stein. Ich hüpfe wie eine Ballettänzerin von Insel zu Insel. Ein kleiner Zwischenschritt und ein großer Sprung, Arme hoch gerissen, das rechte Bein gestreckt nach vorne, den Rand der Pfütze anvisiert. Nun ein Spagat, mit je einem Fuß links und rechts des riesigen Wasserloches kämpfe ich mich zentimeterweise vorwärts. Die ganze Landschaft ist hellweiß, nur auf den gekieselten Wegen ist der Schnee schon geschmolzen. Ich ringe immer noch mit der Tatsache, dass meine Füße nass werden und  versuche endlich auf dem trockenen zu bleiben.

Bis ich den Weg überhaupt nicht mehr sehen kann. Vor mir ein Bergkamm, rechts von mir ein Gletscherfluss. Um mich herum tausend kleine Bäche, die die komplette Landschaft überflutet haben. Ohne den genauen Weg zu kennen bahne ich mir einen Weg hoch auf den Kamm. Oben angekomme analysiere ich die Umgebung und erkenne, dass ich die größten Arme des Baches überqueren muss. Wieder versuche ich trocken zu bleiben, versinke in der Wiese aber immer wieder fast bis zu den Knöcheln. Nun sind meine Füße doch nass. Damit wäre auch das krampfhafte rum gehüpfe vorbei. Ich schalte von Elf zu Juggernaut und marschiere querfeldein zum nächsten Abschnitt des Pfades. Kein springen von Stein zu Stein. Einfach durch den Bach. Meine zwei Paar Socken und eigentlich wasserdichten Laufschuhe arbeiten nun wie ein Neoprenanzug. Meine Füße sind warm.

Ich laufe weiter durch eine tundraähnliche Landschaft, überall kleine Grasbüschel, durchsät mit kleinen Felsen und komplett schneebedeckt. Mein Weg führt immer flussaufwärts, bis ich an seiner Quelle ankomme. Ein riesiger See zu Füßen eines noch größeren Gletschers, eingerahmt von einigen der höchsten Bergen Neuseelands. Auf dem See treiben einige Eisberge, riesige Brocken, die vom Gletscher abgefallen sind. Minuten der absoluten Ruhe und Einsamkeit. Ein Gefühl, das nicht in Bilder gefasst werden kann (was auch an den vielen Wolken lag).

Auf dem Weg zurück kann ich es mir nicht nehme lassen einen kleinen Umweg zu machen und einen Steilhang am Ufer eines anderen Gletschersees zu erkunden. Geschätze 100 Meter über dem See kämpfe ich mich durch Geröll, Eis und Schnee. Ein Donnern in der Ferne lässt ein aufziehendes Gewitter vermuten. Es will gar nicht mehr aufhören. Erst nach mehreren Sekunden ist der Lärm endlich vorrüber. Der Himmel ist komplett bewölkt, nach einem Unwetter sieht es aber eigentlich nicht aus. Es muss eine Lawine gewesen sein. Ich klettere weiter den Hang entlang, bis ich zu einer Stelle komme, wo es nicht weitergeht. Die Bergwand ist nun fast senkrecht, einige Felsbrocken und komplett vereist. Ich ruhe mich ein wenig aus und genieße die Aussicht über Gletscher und See, als es wieder anfängt zu Donnern. Diesmal viel dichter. Und wieder eine gefühlte Ewigkeit lang. Man kann es förmlich spüren. Ich stehe immer noch mitten im Steilhang. Es sieht in meinen Augen nicht lawinengefährdet aus, trotzdem gibt es nichts erschreckenderes als einen Erdrutsch zu hören, der keine 500 Meter entfernt ist. Ich drehe um und gehe vorsichtig den Hang zurück zum eigentlichen Weg. Hinter mir höre ich es noch einmal Donnern, diesmal aber wieder weit in der Ferne. Der Weg zurück zum Anfang ist nun kaum noch wieder zu erkennen. Wo anfänglich unberührter Schnee lag, ist nun alles zertrampelt und matschig. Es ist kein vergleich zu den Bedingungen vor einigen Stunden.

Der Berg hat gerufen und ich bin dem Ruf heute als Erster gefolgt. Das war das frühe Aufstehen auf jeden Fall wert.


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